Hämophilie A/B
Globaltests
Bei einer FVIII- bzw. FIX-Aktivität <40 % der Norm ist die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) leicht verlängert, wobei zu beachten ist, daß die kommerziell erhältlichen aPTT-Reagenzien unterschiedlich sensitiv auf FVIII-Erniedrigungen ansprechen. Ein gutes aPTT-Reagenz zeichnet sich durch eine hohe Faktorensensitivität aus. Bei Aktivität <1 % beträgt sie ca. 80-120 Sekunden (2-3fach verlängert). Liegen keine Hemmkörper vor, normalisiert sich die aPTT nach Mischen von Patientenplasma und Normalplasma. Prothrombinzeit (Quickwert), Thrombinzeit, Blutungszeit sowie Plättchenzahl und –funktion sind im Regelfall normwertig.
Einzelfaktorenbestimmung
Indikationen zur Aktivitätsbestimmung von FVIII und FIX sind der klinische Verdacht auf Hämophilie, unklare aPTT-Verlängerungen sowie die Überwachung der Substitutionstherapie. Es stehen verschiedene funktionelle und immunologische Testsysteme zur Verfügung. Bei etwa 10 % der Hämophiliepatienten sind FVIII bzw. FIX immunologisch detektierbar, aber funktionell inaktiv.
Spezifische Tests
Test Beschreibung Faktor VIII und Faktor IX-Bestimmung z.B. Koagulametrische Methode (Einstufentest): Mechanisch (Häkchen); Photooptisch: Trübung. Verdünntes Citratplasma, APTTReagenz, CaCl2 und Faktor VIII- bzw. IX-Mangelplasma (Plasma, das alle Faktoren außer dem zu Bestimmenden enthält). Die Zeit bis zum Eintritt der Gerinnung wird bestimmt und an Hand einer Normalwerttabelle in Prozent umgerechnet. Normalwert: meist 50 - 150% der Norm.
Hemmkörper
Inhibierende Antikörper gegen FVIII bzw. FIX treten durch Alloimmunisierung unter Substitution oder als Autoantikörper im Rahmen der erworbenen Hämophilie auf (s.u.). Sie können im sogenannten Bethesda-Assay detektiert werden, bei dem nach Inkubation einer Mischung von Patientenplasma und Normalplasma die Aktivität des Faktors bestimmt wird. Die prozentuale Inhibition wird anhand einer Bezugskurve in Bethesda-Einheiten (BE) umgerechnet, wobei 1 BE der Antikörpermenge entspricht, die 50 % der Aktivität des Faktors im Normalplasma inhibiert.
Differenzialdiagnose
Bei Vorliegen typischer klinischer Zeichen der Hämophilie führt die Einzelfaktorenbestimmung in der Regel schnell zur Diagnose. Eine negative Familienanamnese oder eine normale aPTT schließen eine Hämophilie nicht aus, so dass auch in diesen Fällen eine Einzelfaktorenbestimmung vorgenommen werden sollte. Mischtests mit Normalplasma sollten vorgenommen werden, um eine Hemmkörperhämophilie zu erfassen. Die Differenzialdiagnose der aPTT-Verlängerung bei sonst normalen Globaltests umfasst neben der Hämophilie auch das Antiphospholipid-Syndrom und angeborene Defekte der Faktoren XI, XII, Präkallikrein und HMWK. Diese gehen im Gegensatz zur Hämophilie aber nur mit leichten (Faktor XI) bzw. keinen Blutungskomplikationen (übrige) einher. Im Fall einer milden Hämophilie sollte ein von Willebrand-Syndrom durch Bestimmung von VWF-Antigen und Ristocetin-Kofaktor ausgeschlossen werden, da auch beim VWS die FVIII-Aktivität mäßig erniedrigt sein kann. Das seltene VWS Typ 2N) stellt einen isolierten Defekt der FVIII-Bindungsfähigkeit des VWF dar. Die gestörte Bindung an VWF resultiert in einer verkürzten FVIII-Halbwertszeit, so dass erniedrigte FVIII-Spiegel von ca. 20-50% der Norm gemessen werden. Die Diagnose wird anhand der Familienanamnese (kein X-chromosomaler Erbgang), FVIII/VWF-Bindungsanalysen oder auch der Sequenzierung des VWF-Gens gestellt.
Konduktorinnenstatus
Heterozygote Überträgerinnen haben FVIII- bzw. FIX-Plasmaspiegel von etwa 50 %. Aufgrund der starken individuellen Schwankungen ist es jedoch nicht möglich, anhand der Aktivität eindeutig auf den Konduktorinnenstatus zu schließen. Eine Bestimmung der Ratio aus FVIII-Aktivität und VWF-Antigen verbessert die Richtigkeit der Konduktorinnendiagnostik, da beide Faktoren normalerweise gleichsinnig reguliert werden. Die Ratio beträgt in der weiblichen Normalbevölkerung 0,7 bis 2,2, ist jedoch bei Konduktorinnen der Hämophilie A auf 0,2 bis 0,9 erniedrigt. Molekulargenetische Techniken erlauben im Rahmen von Familienuntersuchungen eine eindeutige Diagnose in über 95% der Fälle. Ist der genetische Defekt in einer Familie bekannt, können spezifische Sonden hergestellt werden, die das defekte Allel direkt nachweisen. Ist der Defekt unbekannt, können Polymorphismen im Gen genutzt werden, die mit dem Defekt gekoppelt vererbt werden. Sind molekulargenetische Familienuntersuchungen nicht möglich, kann eine Sequenzierung des FVIII- bzw. FIX-Gens erfolgen. Analog können diese Methoden zur pränatalen Diagnostik eingesetzt werden.
VWS
Die sichere Diagnostik des VWS ist eine hämostaseologische Herausforderung, was insbesondere für den Typ 1 gilt. Unproblematisch ist die Diagnose des Typ 3, der sich durch ein völliges Fehlen an VWF auszeichnet. Zur sicheren Diagnostik ist neben der Anamnese die Analyse der Quantität (Bestimmung des VWF-Antigens), der Qualität (Analyse der VWF-Multimere), der Funktion (Blutungszeit, Plättchenfunktionsanalyse, Ristocetin-Kofaktor-Bestimmung und Kollagenbindungsaktivität) sowie der FVIII-Bindungskapazität. Prothrombinzeit (Quick), Thrombinzeit, Blutungszeit (s.u.) sowie Plättchenzahl und –funktion sind im Regelfall normwertig. Auch die APTT ist meist unauffällig, es sei denn, daß bei deutlichen Mangel an VWF auch FVIII so weit abfällt, daß dadurch die APTT verlängert wird. Die APTT ist daher für die Diagnostik des VWS unzuverläßig. Beim VWS bestätigt sich, daß Patienten mit routinemäßig erhobenen, besten Gerinnungswerten verbluten können.
Da der Typ 2 bzw. seine Subtypen über das Muster der Multimere definiert ist, ist die Multimeranalyse zur Subtypisierung der Typ 2-Varianten unerläßlich. Ein Typ 1 VWS kann durch die Multimeranalyse nicht sicher ausgeschlossen werden.
Zur Bestimmung der VWF-Funktion wird die bereits erwähnte Wirkung von Ristocetin, einem in Deutschland nicht mehr zugelassenen Vancomycin-Analogon, ausgenutzt. Ristocetin ist offenbar in der Lage, sowohl an VWF als auch an GP Ib zu binden und über einen noch nicht genau bekannten Mechanismus die Affinität von VWF und GP Ib zueinander zu erhöhen, worüber sich die Ristocetin-Kofaktor Aktivität bestimmen läßt.
Neuerdings wurde ein ELISA-basierter Test eingeführt, der die Bindungsfähigkeit des VWF an Kollagen analysiert, die sogenannte Kollagenbindungskapazität (CBA).
Einziger in vivo-Test zur Diagnostik des VWS ist die Bestimmung der Blutungszeit. Dies ist zusammen mit der einfachen Durchführbarkeit zugleich ihre Stärke, die Schwäche der Blutungszeitbestimmung liegt darin, daß sie nicht standardisiert und nicht standardisierbar ist.
| Parameter | | Typ 1 | | Typ 2A | | Typ 2B | | Typ 2N | | Typ 3 | |
| Häufigkeit | | 70-80% | | 10-15% | | bis 5% | | bis 3% | | bis 10% | |
| APTT | | n | | n | | n | | n # | | # | |
| Blutungszeit | | n # | | n # | | n # | | n | | # | |
| Plättchenzahl | | n | | n | | n $ | | n | | n | |
| FVIII: C | | n | | n $ | | n | | $ | | $ | |
| VWF-Antigen | | n $ | | n $ | | n $ | | n | | f | |
| RiCof | | n $ | | n $ | | n $ | | n | | f | |
| RIPA | | n | | n | | # | | n | | f | |
| Multimere | | n | | HM fehlen | | HM fehlen | | n | | f | |
Tab. 0.1: Typische Laborkonstellationen bei VWS in Abhängigkeit von Typ (n=normal, «=reduziert, f=fehlend, ª= erhöht, HM=hochmolekulare Multimere, RiCof = Ristocetin Kofaktor Aktivität, RIPA = Ristocetin induzierte Plättchen-Aggregation).
Abschließend sei nochmals betont, dass eine sichere Diagnostik letztlich nur unter Zuhilfenahme sämtlicher beschriebener Teste möglich ist.
Anleitung zur Diagnostik
Die Diagnose der Hämophilie A:
Eigen- und Familienanamnese, gegebenenfalls mit Erbgang.
Blutbild (zum Ausschluss einer Thrombozytopenie).
Globaltests: Quick (bei Hämophilie: normal), aPTT (verlängert), Thrombinzeit (normal), Blutungszeit (normal).
Spezielle Tests: Einzelfaktor-Analyse Faktor VIII bzw. IX.
Faktor VIII-Bindungskapazität zum Ausschluss eines von Willebrand-Syndrom Typ 2N. vWF-Diagnostik zum Ausschluß Typ 3.
Weitere Tests zum Ausschluss anderer Ursachen einer Gerinnungsstörung: Inhibitorteste zum Ausschluß von sogenannten kindlichen Lupusinhibitoren, die eine Hämophilie vortäuschen und bei chronischen Infekten vorkommen können.
Allgemeine Laborwerte
Test Normwert
Veränderung bei Hämophilie Beschreibung
APTT 28 – 40 s (Laborabhängig) > 40 s(Laborabhängig)
Als Suchtest zur Erfassung einer verminderten Aktivität von Faktor VIII und IX eignet sich vor allem die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (APTT). Bei der APTT-Messung wird eine Oberflächenaktivierung z.B. durch Zugabe von Kaolin und Phospholipiden ausgelöst. Der Normbereich beträgt meist ca. 28 –40 Sekunden. Die APTT sollte verlängert sein, wenn Faktor VIII auf weniger als 50% erniedrigt ist. Achtung: Nicht alle Reagenzien sind Faktoren-sensibel, so dass insbesondere eine Subhämophilie übersehen werden kann.
Quick 70–100 % (Laborabhängig) Normalwerte Der Quicktest ist ein Globaltest, der jedoch die Faktoren VIII und IX nicht erfasst. Daher sind bei Hämophilen normale Werte zu erwarten.
Blutungszeit Je nach Methode Meist Normalwerte
Die Blutungszeit bestimmt die Dauer bis zum Stehen einer Blutung, die z.B. durch Stichinzision provoziert wurde. Sie hängt überwiegend von der Ausbildung des Plättchenthrombus ab. Daher sind bei Hämophilen normale Werte zu erwarten.
Thrombinzeit 17-22 s (Laborabhängig) Normal
Die Gerinnung wird durch Zugabe von Thrombin aktiviert und erfasst v.a. Fibrinogen. Bei Hämophilie ist sie normal.
Thrombozytenzahl 150000-400000/µl Normal
Bei Hämophilie ist die Thrombozytenzahl üblicherweise normal.
Pränatale Diagnostik:
Wenn der Wunsch nach Kindern besteht, und in der Familie der Mutter Hämophilie bekannt ist, ist eine pränatale Diagnostik sinnvoll, da sie unter Umständen Konduktorin ist. In deisem Fall kann sie unter der Geburt verstärkt bluten. Ist auch das Kind betroffen, so sind gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen bei der Entbindung zu treffen. Aus einer Blutprobe lässt sich die DNS auf eventuelle Mutationen untersuchen.
Kenntnisse über Mutationen sind von Bedeutung für:
Erfassung von Konduktorinnen und deren genetische Beratung
Vorbeugung von Blutungen. Insbesondere zur Geburtsvorbehandlung bei Entbindung eines hämophilen Jungen.
Berechnung der Wahrscheinlichkeit, ein hämophiles Kind zu bekommen.
Die vorgeburtliche Untersuchung des Kindes mittels Chorionzottenbiopsie ist in der 10./11. Schwangerschaftswoche möglich.
Eine besondere Problematik der vorgeburtlichen Untersuchung liegt darin, dass bisher keine Möglichkeit besteht, eine festgestellte Erbkrankheit zu korrigieren. Sollte ein Abruch der Schwangerschaft in Erwägung gezogen werden, so wirft dies besonders bei behandelbaren Störungen wie der Hämophilie A ethische Fragen auf. Daher ist es sehr wichtig, diese Fragen vor einer pränatalen Diagnostik in einer umfassenden Beratung zu diskutieren.
Die genetische Analyse des zugrundeliegenden Defektes ist auch deshalb von Interesse, weil bestimmte Mutationen mit einer gehäuften Entwicklung von Hemmkörpern vergesellschaftet sein sollen.